Ziel „Schutz der Bildungsschwachen“ verfehlt

Immer wieder postuliert die CSU, dass die bayerische Übertrittsregelung zum Schutz der Kinder aus bildungsschwächeren Familien dienen soll. In der aktuellen Entwicklung entscheiden sich nach und nach alle Bundesländer für die Freigabe des Elternwillens. In diesen Bundesländern haben die Eltern das letzte Wort bei der Schulwahl in der Sekundarstufe 1, meist nachdem sie die Empfehlung der Lehrer erhalten haben. Bayern und Thüringen sind die letzten Bundesländer, die immer noch an der „verbindlichen Eignungsempfehlung“ durch die Grundschule festhalten.

So argumentierte Kultusminister Ludwig Spaenle in einer Plenarsitzung des Landtags für das Festhalten zur verbindlichen Lehrerempfehlung:

Wer die Abschaffung der verbindlichen Übertrittsempfehlung nach dem bayerischen Modell verlangt, trifft damit Kinder aus bildungsfernen Schichten. Das ist die ganz klare Erkenntnis der empirischen Bildungsforschung. Familien, bei denen die Elternteile kein Abitur haben bzw. keine akademische Ausbildung genossen haben, entscheiden sich seltener für eine Schullaufbahn an einer weiterführenden Schule, wenn dazu keine konkrete Übertrittsempfehlung vorliegt. Wer diesen Vorschlag allen Ernstes um- setzen will, schadet Kindern aus solchen Familien. 

Die Studie „Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich“ von Olaf Köller et al. aus dem Jahr 2010 zeigt:

Die relative Chance eines Gymnasialbesuchs ist vor allem in Bayern und Baden-Württemberg stark von der sozialen Herkunft abhängig. Der Zugang zum Gymnasium hängt in Bayern fast viermal so stark von der sozialen Herkunft ab wie in Brandenburg.

Das Kultusministerium hat auf die Studie reagiert (hier):

Die Bildungsbeteiligung (relative Chance eines Gymnasialbesuchs) ist vor allem in Bayern und Baden-Württemberg stark von der sozialen Herkunft abhängig: Ein Facharbeiterkind hat bei gleicher Lesekompetenz eine 6,5-mal geringere Chance auf einen Gymnasialbesuch als ein Akademikerkind (Deutschland: 4,5).

Die versuchte Relativierung erfolgt noch im gleichen Absatz:

Hierbei ist nicht berücksichtigt, dass Schülerinnen und Schüler aus der Mittelschule und der Realschule über FOS/BOS und berufliche Bildungsgänge in hohem Maße ebenfalls Hochschul­zugangs­berechtigungen erreichen und damit die sozialen Disparitäten wesentlich verringern. Insgesamt sind die Hochschulzugangsberechtigungen über nicht-gymnasiale Bildungsgänge bei 42% angelangt.

Vielleicht wird dieser Umstand des zweiten Bildungsweges nicht berücksichtigt, aber das man hinterher wieder etwas gut machen kann überzeugt auch nicht. Aber hinsichtlich der Forschungsergebnisse scheint das bekundete Ziel des Übertrittsverfahrens verfehlt. Der Stress für Schüler, Eltern und Lehrer läßt sich in keiner Weise rechtfertigen.