Transparenz – zwei Lehrer im Vergleich

Lehrer sind unterschiedlich. Das darf und soll auch so sein. Allerdings ergeben sich bei der verbindlichen Lehrerempfehlung Probleme mit Chancengleichheit der Kinder.

Wolfgang aus München und Marta aus dem Altmühltal

Ein Erfahrungsbericht

 

Wolfgang unterrichtete im Schuljahr 2014/15 eine 4. Klasse in einer großen Grundschule in München.
Marta unterrichtete im Schuljahr 2015/16 eine 4. Klasse in einer kleinen Grundschule im Altmühltal.

Die Eignungszahlen hier als Tabelle:

War die Leistungsfähigkeit der Münchner Klasse höher?

Zwei Punkte sprechen dagegen

1.
Diese Zahlen entsprechen in etwa den durchschnittlichen Übertrittsempfehlungen (Eignungszahlen) der Landkreise. Wer an der Behauptung der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Schüler eines gesamten Landkreises über Jahre festhielte, würde weiterhin auch behaupten, dass die Kinder im Altmühltal durchschnittlich signifikant dümmer seien als die Kinder in München. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen schließen so eine Schlussfolgerung aus.
2.
Die Vorgehensweisen der beiden Lehrkräfte war so verschieden, dass sich die Schlussfolgerung aufzwingt, die unterschiedlichen Ergebnisse der Übertrittsempfehlungen sind nicht auf ein niedrigeres Leistungsniveau der Altmühltaler Klasse zurückzuführen. Diese Vorgehensweisen werden im Folgenden dargestellt.

Tatsächliche Ursachen für die Unterschiede des Leistungsniveaus

A) Motivation der Lehrer

  • Wolfgang zeigte jederzeit großes Interesse und große Freude daran, jedem einzelnen Schüler die für ihn höchst mögliche weiterführende Schulart zu ermöglichen.
  • Marta bremste hingegen bei weiterführenden Schulen pauschal. So bemerkte sie einige Male, dass man sich schon überlegen müsse, ob man einem Kind wirklich das Gymnasium antue. Vor allem, wenn ein Kind per se kein 1er-Schüler war, schien sie einen Beschützerinstinkt zu entwickeln, um dem Kind ein unnötiges Leiden an der falschen Schule ersparen zu können. Vielen Eltern, deren Kinder tatsächlich dann doch die Gymnasialeignung erlangten, gab sie mit auf den Weg: „Überlegen Sie sich das bitte nochmals gut.“ Oft hinterließ sie damit bei Eltern sofort ein schlechtes Gewissen.

B) Grundhaltung zum Lernen zu Hause

Wolfgang ging davon aus, dass die Eltern gerne mit den Kindern zu Hause lernen dürften, wenn es nötig sein sollte. Er teilte den Eltern am 1. Elternabend des Schuljahres mit:
  • Die Eltern könnten nach dem Unterricht selbständig im Klassenzimmer die Materialien der Kinder nachsehen oder auch abholen, falls die Kinder diese in der Schule gelassen hätten.
  • Mindestens 8 Tage vor einer Probe würden die Kinder auch den zu lernenden Stoff mit Kreuzchen in den Heften erfahren und somit sei der Stoff auch für die Eltern nachvollziehbar.
  • Er gab jeden Freitag einen Wochenplan für die kommende Schulwoche raus. Das war ein Stundenplan, der widerspiegelte, was genau in der Schulstunde behandelt werden würde, was die Haushausgaben sein würden und bis wann man sie machen müßte. Er betonte an dieser Stelle auch, dass Schüler diese Hausaufgaben auch gerne die Tage vorher machen dürften, falls sie mal zum Zahnarzt müßten oder lieber auf die HSU Probe lernen sollten.
  • Man könne ihn auch immer per Mail befragen, er würde die Mails täglich lesen und beantworten.
  • Alle Termine für jede einzelne Probe wurden am Elternabend für das gesamte Schuljahr bekannt gegeben.
Marta thematisierte den Übertritt am ersten Elternabend ausschließlich so: „Üben Sie keinen Druck auf die Kinder aus! Lernen Sie nicht mit Ihren Kinder, die Vorbereitungen übernehme ich.“ Diese Aussage läßt sich interpretieren als:
  • „Mischen Sie sich nicht in meine Angelegenheiten ein!“
  • „Es ist schädlich, wenn man die Kinder zuhause noch zusätzlich etwas vorbereiten lässt.“
  • „Wenn Sie mit den Kindern zusätzlich lernen, verursachen Sie selbst den Druck in der 4. Klasse, nicht der Lehrer und nicht das System.“
  • „Eltern, die zusätzlich mit ihren Kindern lernen, sind überehrgeizig.“
  • „Es ist nicht nötig, dass die Kinder irgendetwas zuhause lernen.“

Die Grundhaltung des Kultusministeriums zum Lernen in der 4. Klasse

Dabei ist laut Grundschulabteilung des Kultusministeriums sehr wohl erwünscht, dass die Kinder auf die Proben lernen. Es soll nicht nur die natürliche Begabung der Kinder getestet werden, sondern auch das „Sitzfleisch“. Denn eine höhere Schule können nicht nur Kinder besuchen, die außerordentlich klug sind, sondern auch die Kinder, die bereit sind sich ausreichend vorzubereiten. Dieses Verfahren war bei Marta nicht angekommen oder sie wollte es nicht unterstützen.

Hausaufgaben als Unterstützung oder Behinderung zum Lernen

  • Wolfgang nannte nicht nur die Hausaufgaben der gesamten kommenden Woche im Voraus. Er legte auch die Hausaufgaben so, dass sie das Lernen für die Proben unterstützten. Stand eine Probe in einem Fach an, bestanden die Hausaufgaben fast ausschließlich im Wiederholen des Stoffes. Andere Fächer wurden auf ein Minimum reduziert. In der Regel erfolgte die Vorbereitung auf die Probe schriftlich. Es gab aber auch mal am Tag vor der Probe „hausaufgabenfrei“ mit der expliziten Bitte an die Kinder, die Zeit fleißig zum Lernen zu nützen.
  • Marta gab an Tagen vor der Probe besonders viele Hausaufgaben auf, allerdings betrafen diese fast ausschließlich die anderen Fächer. Stand z.B. eine Matheprobe an, mußten die Kinder an diesen Tagen oft für Deutsch derart viel abschreiben, dass die Kapazität zum Lernen an diesem Nachmittag schon erschöpft war. Das zeitliche Pensum der schriftlichen Hausaufgaben, die zur anstehenden Probe fachfremd waren, belief sich dann auch mal auf zwei Stunden. War die Probe vorbei, fiel die Hausaufgabenzeit deutlich unter eine Stunde. Als Belohnung für die Probe gab es sogar nach der Probe auch mal hausaufgabenfrei.

c) Transparenz

Transparenz zum Stoffumfang

  • Wolfgang informierte die Kinder und Eltern über den Stoff der kommenden Proben schon bei der Ankündigung der Probe. Die zu lernenden Einträge in den Heften wurden angekreuzt und den Kindern wurde genau gesagt, was sie alles vorbereiten sollten. Auch wurde ihnen mitgeteilt, was sie nicht vorbereiten müßten, weil es nicht drankäme. Wolfgang sorgte dafür, dass die Kinder seiner 4. Klasse schnell lernten, sich immer die nötigen Unterlagen für die kommenden Proben in die Schulranzen zu stecken, besonders am Wochenende vor der anstehenden Probe.
  • Marta dagegen benannte den Stoff gar nicht. Auf Nachfrage der Eltern kam manchmal sogar ein pauschales „Es kann alles drankommen.“ Bevorzugt arbeitete sie mit Arbeitsblättern, die sie am Wochenende vor der Probe von den Kindern in einen Ordner einheften ließ. Dieser Ordner blieb dann natürlich in der Schule und die Materialien waren für einen selbst zusammengestellten Stoffüberblick nicht mehr verfügbar.  Die häusliche Vorbereitung wurde damit oft zum munteren Rätselraten über den Stoff und war nur noch über gekaufte Bücher und das Internet möglich.

Schriftliche Stoffsammlung: Beispiel Hefteinträge zum Thema „Wasser“ in HSU

  • Wolfgang ließ z.B. zum Thema „Wasser“ in HSU 11 Heftseiten eintragen. Konnte man alles aus dem Heft perfekt und sonst nichts, bekam man die Note 2.
  • Marta ließ zum gleichen Thema nur 3,5 Seiten im HSU-Heft eintragen. Viele der Teilthemen, die im Heft nicht standen, wurden mündlich behandelt. Das hatte zur Folge, dass sich das Anforderungsniveau so verschob, dass nur 33% des geprüften Stoffes dieser Probe auch im Heft zu finden war. Konnte man den Stoff im Heft perfekt und sonst nichts, bekam man eine auch mal ein Note 4.

D) Abstände der Proben

  • Wolfgang verteilte seine Proben immer so, dass man in der Regel eine Probe in der Woche schrieb. Das hatte sicherlich den Nachteil, dass nur sehr wenige Wochen im Schuljahr probenfrei waren. Das hatte aber den besonders wichtigen Vorteil, dass die Kinder in der Regel auch immer mindesten 8 Tage Vorbereitungszeit zwischen den Proben hatten.
  • Marta schrieb den Großteil Ihrer Proben in größeren Abständen in einem Ruck. Für 4 Deutschproben, eine Matheprobe und eine HSU Probe hieß das, dass 6 Proben in 3 Wochen geschrieben wurden. Das bedeutet auch, dass faktisch trotz 8 Tage Ankündigungszeit nur 3,5 Tage für die Vorbereitung einer Probe blieben. Das Verfahren hatte vielleicht den Vorteil, dass es immer mehrere probefreie Wochen gab, in denen nicht geprüft wurde. Aber letztendlich wurde durch dieses Vorgehen jeder Probenmarahton eine unvergleichbare Stresssituation für die ganze Familie.

D) Transparenz der Korrekturen und Probenergebnisse

Wohlwollende und nicht wohlwollende Korrekturen

  • Wolfgangs Korrekturen waren komplett nachvollziehbar. An jeder Stelle war klar, für was es einen Punkt gab oder einen Punktabzug. Dadurch waren für die Eltern die Korrekturen auch überprüfbar.
  • Martas Korrekturen waren häufig fehlerhaft, oft nicht transparent oder wirkten willkürlich. Die Aufgaben enthielten oft nicht die Angabe, welche Punktezahl prinzipiell für eine Aufgabe vergeben wurde. Die Korrekturen enthielten oft keine gültigen Korrekturhäkchen (für „ein Punkt“ oder „halber Punkt“). Gab es z.B. für eine Sachaufgabe 4 Punkte und das Kind hatte diese offenbar nicht korrekt gelöst, war für die Eltern nicht nachvollziehbar, weshalb 1,5 Punkte vergeben wurden und nicht etwa 2,5.  Waren verschiedene Lösungsantworten möglich und entsprach die Lösung des Schülers nicht den Erwartungen von Marta, galt nicht der Leitsatz: „Jede richtige Antwort gilt“. Nach dem Gesetz muss jeder korrekte Antwort auch als korrekt gewertet werden, selbst wenn sich nicht derjenigen entsprach, welche die Lehrkraft bei der Erstellung der Aufgabe im Sinn hatte. In einem solchen Fall gab Martha auch 0 Punkte, obwohl der Schüler eine richtige Antwortalternative gewählt hatte. Solche Ungereimtheiten sind vor allem dann schwierig, wenn es nur einen halben Punkt gebraucht hätte, um die bessere Note zu bekommen.

Transparenz der Probenergebnisse

  • Wolfgang Proben enthielten immer die erreichbaren Punkte pro Aufgabe. Die Punkte-Noten-Verteilung wurde den Schülern mitgeteilt. So konnten die Eltern nachvollziehen, wie viele Punkte zur besseren Note fehlten. Bei der Rausgabe der Probe teilte Wolfgang den Kindern den Notendurchschnitt und den Notenspiegel mit.
  • Marta druckte die erreichbaren Punkte oft nicht auf die Proben. Die Punkte-Notenverteilung nannte sie nie. Auch wurden den Schülern bei der Rückgabe der Proben nie der Notendurchschnitt oder der Notenspiegel mitgeteilt. Im Gegenteil: Marta sagte den Schülern, sie sollten nicht mit den anderen Schülern über ihre Ergebnisse sprechen. Außerdem behauptete sie, dass die Eltern die Proben zuhause nicht kopieren dürften, weil dies das Urheberrecht der Schule verletze und deswegen nicht erlaubt sei (was natürlich Unsinn ist). Es liegt auf der Hand, dass Marta sich nicht in die Karten blicken lassen wollte.

Zusammenfassend

Kommt man auf den Sachverhalt zurück, dass bei Marta die Eignungszahlen erheblich schlechter lagen als bei Wolfgang, überrascht dies im Hinblick auf die Intransparenz des Stoffes, die nicht verfügbaren Lernmaterialen und die nicht wohlwollenden Korrekturen nicht. Insgesamt gesehen war Martas kommuniziertes Ziel die Stressbelastung der Kinder gering zu halten. Tatsächlich war der Stress zunächst für die Eltern, die gerne mit ihren Kindern die Proben vorbereiten wollten um ein vielfaches höher als bei den Eltern von Wolfgangs Klasse, weil die Eltern von Martas Klasse den zu lernenden Stoff zuhause sammeln und sichten mußten. Im zweiten Schritt war der Vorbereitungsstress auch für die Kinder in Martas Klasse viel größer, da durch die Unklarheit des relevanten Stoffes die Eltern die Kinder vorsichtshalber auch deutlich mehr vorbereiten ließen, um die Chance auf die Note 2 zu erhöhen, die ja nur dann erreicht wird, wenn die Kinder mehr können, als im Heft steht (Anforderungsstufen I, II.:).

Da Marta auf ihre Art und Weise die Begabung der Kinder und nicht deren Fleiß feststellen wollte, testete sie vielmehr noch das Bildungsniveau der Eltern. Dann je höher dieses war, desto visierter konnten und wollten die Eltern den zu vorbereitenden Stoff eruieren sowie ihre Kinder vorbereiten.

Insgesamt gesehen war das Niveau bei Wolfgang in München höher bei gleichzeitig besseren Notendurchschnitten der Klassenarbeiten, wesentlich höheren Empfehlungsquoten auf weiterführende Schulen und erheblich weniger Stress für die Kinder und Eltern.