Petition Gewichtung Kompetenzbereiche

 

 

Petition an den Bayerischen Landtag
-
Anteil der Bewertung der Rechtschreibung in der 4. Klasse
in der Grundschule Walting

 

Beschwerde
gegen
die Grundschule Walting und
das Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus

 

eingereicht am 9.7.2022
Petent: Ilona Zehetleitner


Zusammenfassung

In der Grundschule werden im Übertrittsverfahren der 4. Klasse im Fach Deutsch
folgende Kompetenzbereiche gemessen:

  • Aufsatz (Texte verfassen)
  • Textverständnis (Leseverständnis, Texte verstehen)
  • Hörverstehen (Hörverständnis, Zuhören)
  • Sprache untersuchen (Grammatik, Sprachbetrachtung)
  • Rechtschreibung (Richtig schreiben)

Vergleicht man die Leistungserhebungen im Fach Deutsch an verschiedenen bayerischen Grundschulen, schwankt die Gewichtung der Kompetenzbereiche sehr stark, wie noch gezeigt wird.

Konkreter Anlass dieser Petition ist die Gesamtgewichtung des Kompetenzbereiches Rechtschreibung im Fach Deutsch in der Grundschule Walting (Landkreis Eichstätt, Oberbayern), in der 4. Klasse im Schuljahr 2021/22. Der Kompetenzbereich Rechtschreibung nahm über alle Leistungsbewertungen bis zum Übertrittszeugnis 34 % ein. Im Vergleich zum Probeunterricht ist der Anteil der Rechtschreibung verdreifacht. Dabei wurde der Anteil der Rechtschreibung des Probeunterrichts in einem Gerichtsbeschluss als sehr hoch eingestuft. Auch im Vergleich zu weiteren Grundschulen übersteigt Walting den Anteil der Rechtschreibung der anderen Schulen deutlich.

Für die 4. Klasse bedeuten starke Schwankungen der Kompetenzbereiche in einem Übertrittsfach

  • mangelnde Chancengleichheit
  • mangelnde Validität bei der Eignungsfeststellung, denn das Anforderungsprofil jeder Schulart erfordert eine passende Eignung

Die Gewichtung der Kompetenzbereiche unterliegt prinzipiell der pädagogischen Freiheit der Schule. Auch wird in der Lehrerkonferenz entschieden, in welchen Kompetenzbereichen und Fächern die Rechtschreibung bewertet wird.

Dennoch geht das Vorgehen der Grundschule Walting über einen akzeptablen Rahmen hinaus. Das Ausmaß scheint weder von der GrSO, noch vom LehrplanPLUS, noch von den Gewichtungen der weiterführenden Schulen gedeckt zu sein. Die Bewertung der Rechtschreibung ist in den Bereichen Sprache untersuchen, Aufsatz und HSU nicht rechtskonform, ebenso das Maß des Gesamtanteils der Rechtschreibung über alle Leistungserhebungen im Fach Deutsch.

Das bayerische Übertrittsverfahren beansprucht für sich die bessere Schulwahlentscheidung treffen zu können als die Eltern. Die pädagogische Entscheidung der Waltinger Grundschule zur Gewichtung der Kompetenzbereiche entbehrt einer nachvollziehbaren pädagogischen Begründung, die Umsetzung resultierte nicht nach wissenschaftlich fundiert pädagogischen Gesichtspunkten. Das trifft für weitere Grundschulen, die hier als Vergleich dienen ebenfalls zu.

Auch erfolgte die Gewichtung der Kompetenzbereiche nicht zur relativen Wichtigkeit dieser Kompetenzbereiche in den weiterführenden Schulen. Wenn z.B. die Wichtigkeit von „Texte verfassen“ oder „Textverständnis“ an der weiterführenden Schule 80% betragen würde, dann dürfte die Gewichtung dieser Kompetenzbereiche für die Jahresfortgangsnote im Übertrittszeugnis für das Fach Deutsch nicht in einem viel geringeren Maße reflektieren werden. Ansonsten handelt es sich nicht um eine adäquate, valide Eignungsfeststellung. Die Gewichtungen der Probeunterrichtsprüfungen Gymnasium und Realschule halten sich an diesen Grundsatz und sind zudem landeseinheitlich gleich. Die Chancengleichheit ist hier um eine vielfaches höher.

Hinsichtlich des starken Eingriffs des Staates durch die Einschränkung des Elternwillens bei der Schulwahl ist das beliebig und zudem antiquiert wirkende Vorgehen der Grundschule Walting unakzeptabel.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshofs rechtfertigte 2014 das bayerische Übertrittsverfahren mit der Gewährleistung von Chancengleichheit
Prinzipiell wurde mit der Entscheidung des Staates zum bayerischen Übertrittverfahren eine Güterabwägung vorgenommen. Art. 130 Abs. 1 BV verpflichtet den Staat das Schulwesen so zu organisieren, sodass es entsprechend seiner Zielvorstellungen funktionieren kann. Der Staat entschied sich daher sich zur Einschränkung des in Art. 126 Abs. 1 BV verankerten Elternwillen. Das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 21. Mai 2014 rechtfertigt dieses Vorgehen mit der Gewährleistung von Chancengleichheit bei der Bildung für alle Schülerinnen und Schüler (BayVerfGH. 21.05.2014 - Vf. 7-VII-13, Rn70).

Die Eignungsmessung im Übertrittsverfahren muss daher besonders hohen Qualitätsansprüchen genügen, die sowohl die Chancengleichheit gewährleisten als auch einen hohen Bildungsstandard sichern. Denn sonst ist die Einschränkung des Elternwillens nicht zu rechtfertigen, weder juristisch noch gesellschaftlich.


1.  Gewichtung des Kompetenzbereiches Rechtschreibung in Deutsch

2.  Vergleich mit der Kompetenzgewichtung im Probeunterricht

3.  Vergleich mit der Kompetenzgewichtung an anderen Grundschulen

4.  Mangelnde Chancengleichheit beim Übertrittsverfahren

5.  Jährliche Inkonsistenz der Kompetenzgewichtung in Walting

6.  Blick auf die Einteilung der Kompetenzen im LehrplanPLUS

7.  Unhaltbare pädagogische Begründung: „Wichtigkeit der Rechtschreibung am Gymnasium“

8.  Keine kompetenzorientierte Leistungsprüfung in Walting

9.  Keine rechtskonforme Leistungsprüfung in Walting

10. Qualität der Rechtschreibprüfung in Walting ist mangelhaft

11. Schlussbemerkung

12. Anhang: Tabellen


1. Gewichtung des Kompetenzbereiches Rechtschreibung in Deutsch

Die Grundschule Walting (Landkreis Eichstätt, Oberbayern) hat sich in der diesjährigen 4. Klasse 2021/22 für folgende Gewichtung der Kompetenzen im Fach Deutsch entschieden:

Die genauen Berechnungen ist hier zu finden. Berücksichtigt werden Anzahl und Gewichtung von Proben sowie Punkteverteilungen für verschiedene Kompetenzbereiche innerhalb einer einzelnen Probe. (Die Kopien der Proben können auf Anfrage des KM gerne dem KM bereitgestellt werden.)

a) Gewichtung des Kompetenzbereichs Rechtschreibung im Fach Deutsch entsteht durch:

  • Gewichtung der Rechtschreib-Probe innerhalb der Gesamtbewertung:
    Die Rechtschreib-Proben zählen in Walting 3-fach.
  • Gewichtung der Proben gegenüber den mündlichen Leistungserhebungen:
    Proben (schriftliche Leistungserhebungen) zählen in Walting doppelt so viel wie mündliche Leistungserhebungen. Das bedeutet, dass die Rechtschreibung 6x so viel zählt wie eine mündliche Note.
  • Anzahl der Rechtschreib-Proben:
    In Walting wurden insgesamt 4 Proben geschrieben, in denen Rechtschreibung geprüft wurde, aber z.B. nur eine Zuhör-Probe.

b) Vermischung der Kompetenzbereiche beim Prüfen (wird unter Punkt 8 behandelt)

  • Bewertung der Rechtschreibung erfolgte auch in anderen Kompetenzbereichen:

Die Rechtschreibung wurde in Walting nicht nur innerhalb der Rechtschreib-Proben geprüft, sondern auch in Sprache untersuchen und im Aufsatz bewertet. Das führt zu einer deutlichen Erhöhung des Anteils der Rechtschreibung an der Gesamtnote im Fach Deutsch

Der Kompetenzbereich Rechtschreibung floss mit einem Anteil von 34 % in der Gesamtbewertung im Fach Deutsch mit der Jahresfortgangsnote in Deutsch in das Übertrittszeugnis ein.


2. Vergleich mit der Kompetenzgewichtung im Probeunterricht

Der Probeunterricht wird vom ISB auf Basis aktueller wissenschaftlich pädagogischer Grundlagen von Gymnasiallehrern bzw. Realschullehrern erstellt. Zwar muss der zu prüfende Stoff beider Probeunterrichtsprüfungen Grundschulniveau haben, die Verteilungen der Kompetenzbereiche darf aber vom Kultusministerium bzw. dem ISB frei gewählt werden, da die Verordnungen hier keine Vorgabe machen.

Im Probeunterricht werden die Kompetenzbereiche Aufsatz (Texte verfassen), Textverständnis (Lesen), Sprache untersuchen und Richtig schreiben (Rechtschreibung) geprüft. Der Bereich Aufsatz zählt innerhalb der vier schriftlichen Probeunterrichtsprüfungen im Gymnasium dreifach, in der Realschule zweifach. Das Verhältnis der schriftlichen und mündlichen Prüfung ist sowohl im Gymnasium als auch in der Realschule 2:1.

Die prozentuale Gewichtung der Kompetenzbereiche im Probeunterricht Deutsch sieht daher für Gymnasium und Realschule wie folgt aus:

Hier noch ein Blick auf die Verteilung der weiteren Kompetenzbereiche der Grundschule Walting im Vergleich zum Probeunterricht Gymnasium und der Realschule. Der Kompetenzbereich Zuhören wird im Probeunterricht nicht getestet, auch nimmt die mündliche Prüfung deutlich mehr Gewicht ein als mündliche Leistungserhebungen in der Grundschule Walting.

Gerichtsbeschluss: 13% Rechtschreibung sind viel:
Ein aktueller Beschluss des Verwaltungsgerichts München (Beschluss v. 13.09.2021 – M 3 E 21.4346) bewertet das Maß des Anteils "Richtig schreiben" im Probeunterricht Realschule als „streng“:
Der Gerichtsbeschluss stellt die Bewertungsgrundlage der Grundschulen fest, die der Bewertung des Probeunterrichts zugrunde liegen. Das Urteil bezieht sich also ursprünglich auf den Probeunterricht, stellt aber den Beurteilungsspielraum der Prüfer in der Grundschule klar.
Hierbei beurteilt das Gericht die Gewichtung der Prüfungen „Richtig schreiben“ und „Sprache untersuchen“ von je 13,3 % als „in bedeutendem Maße“ und als „strenge Bewertung“.
Weitere Ausführungen dazu finden Sie hier.)

Anteil der Sprachrichtigkeit – Rechtschreibung und Sprache untersuchen
Vergleich Probeunterricht Realschule und Gymnasium mit den Grundschulen Walting und Ebersberg in der 4. Klasse

Die Gewichtung des Kompetenzbereiches Rechtschreibung in der Grundschule Walting ist etwa dreimal so hoch wie der vom Gericht als groß beurteilte Anteil von 13,3 % im Probeunterricht Realschule.

Die Kompetenzbereiche Rechtschreibung und Sprache untersuchen gehören beide zur Sprachrichtigkeit. Der Anteil dieser beiden Kompetenzen der Sprachrichtigkeit beträgt in der Grundschule Ebersberg zusammen sogar 55%. Das ist mehr als doppelt so viel wie der vom Gericht als groß beurteilte Anteil der Sprachrichtigkeit im Probeunterricht Realschule von 26%.


3. Vergleich mit der Kompetenzgewichtung an anderen Grundschulen

Auch im Vergleich mit anderen bayerischen Grundschulen zeigt Walting einen besonders hohen Anteil des Kompetenzbereiches Rechtschreibung.

Der Vergleich erfolgt hier mit den folgenden Grundschulen:
Grundschule Walting (Landkreis Eichstätt, Oberbayern), 4. Klasse 2021/22
Grundschule Euerdorf (Landkreis Bad Kissingen, Unterfranken), 4. Klasse 2021/22
Grundschule Holzkirchen (Landkreis Bad Miesbach, Oberbayern), 4. Klasse 2021/22
Grundschule Ebersberg, 4. Klasse 2021/22

Die unterschiedliche Gewichtung von Rechtschreibung ist der folgenden Abbildung dargestellt. Sie variiert zwischen 10 % (Holzkirchen) und 34 % (Walting). Dabei muss betont werden, dass die Rechtschreibung eine von fünf Kompetenzen ist.

Auch die restlichen Kompetenzen sind heterogen gewichtet. Der Aufsatz rangiert in seiner Gewichtung z.B. zwischen 15 % (Holzkirchen) und 30 % (Walting).

                                          Ist diese Heterogenität pädagogisch begründbar?

Welchen Kompetenzbereich befanden die Lehrkräfte an den verschiedenen Grundschulen am wichtigsten:
  • in Walting: Rechtschreibung mit 34,2 %
  • in Ebersberg: gleich verteilt Rechtschreibung und Sprache untersuchen mit 27,9 % bzw. 27,3 %
  • in Holzkirchen: Lesen (Textverständnis) mit 27,3 %
  • in Euerdorf: Aufsatz mit 29,6 %

Offensichtlich gibt es große Schwankungen zwischen den Schulen in der Gewichtung der Kompetenzbereich. Ein Vergleich der pädagogischen Begründungen wäre sehr interessant, vermutlich stehen dahinter lediglich persönliche Präferenzen verschiedener Lehrkräfte. Eine derartig große Variation der Gewichtung kann pädagogisch nicht begründet werden.

Darstellung der Kompetenzverteilung im Fach Deutsch in den einzelnen Grundschulen, 4. Klasse 2021/22
Ist diese Heterogenität noch pädagogisch begründbar?

 


4. Mangelnde Chancengleichheit beim Übertrittsverfahren

Um die Chancenungleichheit zu illustrieren, wird hier ein fiktives Beispielkind, Tom, vorgestellt. Dieses Kind hat eine bestimmte individuelle Ausprägung der verschiedenen Kompetenzen in Deutsch.

(Anmerkung: Bei dieser Beispielrechnung handelt es sich nicht um Noten in Proben. In den Grundschule Walting, Ebersberg und Holzkirchen werden die Kompetenzbereiche vermischt, wie noch unter Punkt 8 dargestellt wird. Nur der Grundschule Euerdorf gelingt eine kompetenzorientierte Leistungserhebungen.)

Beispielkind Tom mit folgender individueller Ausprägung der verschiedenen Kompetenzen:

Lesen: 2
Aufsatz: 2
Rechtschreibung: 4
Sprache untersuchen: 2
Zuhören: 2
Mündlich: 2

Wie wären die Noten von Tom mit diesem Begabungs- und Kenntnisstand in Walting:

Durch die unterschiedliche Gewichtung der Kompetenzbereiche würde Toms Notendurchschnitt und damit auch die Übertrittsnote im Fach Deutsch an den vier Grundschulen unterschiedlich ausfallen:

Tom wäre in der Grundschule Walting und der Grundschule Ebersberg benachteiligt.

Probeunterricht im Vergleich: Tom Chancen sind viel größer

Für den Probeunterricht am Gymnasium und der Realschule bräuchte Tom, um übertreten zu dürfen, eine Gesamtnote im Fach Deutsch von mindestens der Note 4. Tom würde im Probeunterricht nicht scheitern, selbst wenn er in Rechtschreiben eine Note 6 bekäme (vorausgesetzt bei ausreichender Leistung im Fach Mathematik).

Auch deutliche schlechteren Noten in den weiteren Kompetenzbereichen könnten im Probeunterricht eine Note 6 in der Rechtschreibung kompensieren.

Kinder mit einer sehr schlechten Rechtschreibung können bei ansonsten ausreichenden Leistungen im Fach Deutsch (und mindestens der Note 4 im Probeunterricht Mathematik) dennoch übertreten.


5. Jährliche Inkonsistenz der Kompetenzgewichtung in Walting

Die Grundschule Walting ist einzügig. Je nach Fachlehrer wird im jeweiligen Schuljahr die Gewichtungen der Kompetenzbereiche sowie die Bewertung der Rechtschreibung verändert.

Denn:

  1. Im Schuljahr 2019/20 wurden bei den Aufgaben des Bereiches „Sprache untersuchen“ die Rechtschreibung nicht bewertet.
  2. Im Schuljahr 2019/20 wurden die SpU/RS-Proben zudem nur einfach gewertet, dieses Jahr hingegen dreifach.

Hinzukommt, dass im Schuljahr 2019/20 im Fach HSU die Rechtschreibung nicht gewertet wurde, im Schuljahr 2021/22 aber schon.

Das Vorgehen wirkt willkürlich, da keine pädagogische Begründung denkbar ist, welche von Jahr zu Jahr so starke Schwankungen in der relativen Leistungsbewertung in den verschiedenen Kompetenzbereichen erfordern oder auch nur rechtfertigen würde.


6. Blick auf die Einteilung der Kompetenzen im LehrplanPLUS

Der LehrplanPLUS gliedert sich im Fach Deutsch für die Stufe 3/4 wie folgt:

Lernbereich 1: Sprechen und Zuhören
Lernbereich 2: Lesen – mit Texten und weiteren Medien umgehen
Lernbereich 3: Schreiben
Lernbereich 4: Sprachgebrauch und Sprache untersuchen und reflektieren

Hier graphisch dargestellt im Kompetenzstrukturmodell des LehrplanPLUS des Faches Deutsch Grundschule

(Quelle: https://www.lehrplanplus.bayern.de/fachprofil/textabsatz/24484)

Die Kompetenz „Richtig schreiben“ ist im LehrplanPLUS der Unterpunkt des Lernbereichs Sprachgebrauch und Sprache untersuchen und reflektieren.

Eine Gewichtung von 34 % der Kompetenz Rechtschreibung entspricht somit nicht der Ausdifferenzierung der verschiedenen Lernbereiche mit ihren Teilkompetenzen. Auch hier ist keine pädagogische Begründung denkbar, so stark von der Kompetenzdifferenzierung im LehrplanPLUS abzuweichen.


7. Unhaltbare pädagogische Begründung: „Wichtigkeit der Rechtschreibung am Gymnasium“

Als pädagogische Begründung für eine hohe Gewichtung der Rechtschreibung wird von den Grundschullehrern der Schule Walting die wichtige Rolle der Kompetenz Rechtschreibung am Gymnasium vorgetragen. Das Argument mehrerer Lehrkräfte lautet: Weil am Gymnasium Rechtschreibung so wichtig ist, muss Rechtschreibung auch an der Grundschule für das Übertrittszeugnis stark gewichtet werden.

Tatsächlich liegt der gewertete Kompetenzanteil Rechtschreibung aber im Gymnasium im Fach Deutsch sehr viel niedriger als z.B. in der 4. Klasse der Grundschule Walting.

Rechenbeispiel:

Konkret wurden z.B. in einer 5. Klasse Gymnasium 2021/22 an einem Eichstätter Gymnasium im Fach Deutsch folgende Leistungsnachweise erhoben:

  • 4 große Leistungsnachweise, bei denen eine mangelhafte Rechtschreibung zur Verschlechterung von bis zu einer Notenstufe führen konnte
  • 4 kleine Leistungsnachweise, in denen die Rechtschreibung nicht bewertet wurde.

Die großen Leistungsnachweise zählen doppelt.

Um den Bewertungsanteil der Kompetenz Rechtschreibung zu erfassen, gehen wir von dem Fall aus, dass unser Beispielschüler Thomas in allen Leistungserhebungen im Bereich Rechtschreibung keine Punkte erreicht und in allen restlichen Bewertungen die volle Punktzahl.

Insgesamt bedeutet eine maximal schlecht bewertete Rechtschreibung in diesem Fall eine Abwertung der Gesamtnote um 0,66%.

Bei einer linearen Berechnung läge der Prozentanteil der Rechtschreibung am Gymnasium bei 12%. Das entspricht auch dem gewählten Prozentanteil für den Probeunterricht Gymnasium von 11%.

Auch hier sieht man:

Der Übertritt in Walting ist mit seiner Kompetenzgewichtung keine zu den Anforderungen des Gymnasiums passende Eignungsprüfung.

Hier graphisch dargestellt im Kompetenzstrukturmodell des LehrplanPLUS des Faches Deutsch Grundschule

Das bedeutet, dass Schüler, deren Begabungslage eine schlechte Rechtschreibung mit sich bringen, der Übertritt an eine weiterführende Schule massiv erschwert wird, obwohl die tatsächliche Eignung für eine weiterführenden Schule durch die schlechte Rechtschreibung keinesfalls im gleichen Maß gemindert ist.


8. Keine kompetenzorientierte Leistungsprüfung in Walting

Zurück zum Ausgangspunk unter Punkt 1. Hier wurde genannt, wie die Gewichtung des Kompetenzbereiches Rechtschreibung mit 34 % im Fach Deutsch zustande kommt:

a) Gewichtung des Kompetenzbereichs Rechtschreibung im Fach Deutsch entsteht durch:

  • Gewichtung der Rechtschreib-Probe innerhalb der Gesamtbewertung:
    Die Rechtschreib-Proben zählen in Walting 3-fach.
  • Gewichtung der Proben gegenüber den mündlichen Leistungserhebungen:
    Proben (schriftliche Leistungserhebungen) zählen in Walting doppelt so viel wie mündliche Leistungserhebungen. Das bedeutet, dass die Rechtschreibung 6x so viel zählt wie eine mündliche Note.
  • Anzahl der Rechtschreib-Proben:
    In Walting wurden insgesamt 4 Proben geschrieben, in denen Rechtschreibung geprüft wurde, aber z.B. nur eine Zuhör-Probe.

b) Vermischung der Kompetenzbereiche beim Prüfen

  • Bewertung der Rechtschreibung erfolgte auch in anderen Kompetenzbereichen:
    Auch in Sprache untersuchen und im Aufsatz wurde die Rechtschreibung bewertet.

Punkt b) „Vermischung der Kompetenzbereiche beim Prüfen“ wurde beim bisherigen Vortrag zwar in die Berechnung miteinbezogen, aber inhaltlich noch nicht behandelt. Um die weiteren Probleme, die eine Vermischung der Kompetenzen mit sich bringt, geht es im Folgenden.

-> Bewertung der Rechtschreibung innerhalb der Aufgaben des Kompetenzbereiches Sprache untersuchen
In vier Proben wurden die beide Kompetenzbereiche „Sprache untersuchen“ und „Rechtschreibung“ zusammen getestet, also zwei Kompetenzbereiche innerhalb einer Probe. Dieses Vorgehen mag gerechtfertigte pädagogische Gründe haben. So kann eine schlechte Note in Rechtschreibung durch eine gute Note in Sprache untersuchen ausglichen werden, sodass sich die Wahrscheinlichkeit verringert, dass das Kind mit einer schlechten Note konfrontiert wird. Problematisch ist allerdings, dass in Walting bei den Aufgaben zum Teil Sprache untersuchen ebenso die Rechtschreibung bewertet wurde. So ergab z.B. eine grammatikalisch richtige Antwort mit falscher Rechtschreibung nur 0,5 Punkte, statt eines Punktes. Daher ist auch bei der Aufteilung aller zu erzielenden Punkte auf die Kompetenzbereiche die Hälfte aller Punkte für Sprache untersuchen der Rechtschreibung zuzuordnen.

Tatsächlich wird also die Kompetenz Rechtschreibung in beiden Teilen - Rechtschreibung und Sprache untersuchen – gemessen und bewertet. Die Leistung im Bereich Sprache untersuchen basiert also auf einer Vermischung der zu prüfenden Kompetenz Sprache untersuchen mit der beiläufigen Prüfung der Kompetenz Rechtschreibung.

-> Bewertung der Rechtschreibung innerhalb des Kompetenzbereiches Schreiben (Aufsatz)
Auch im Aufsatz wurden 10 % der Punkte für Rechtschreibung vergeben. 10 % entsprechen in der Grundschule Walting in etwa einer Notenstufe.

Notenspiegel:

Der Bereich Aufsatz wird deshalb bei einem Kind mit einer schlechten Rechtschreibung in der Regel auch mit einer Notenstufe schlechter bewertet werden. Ein Kind mit schlechter Rechtschreibung kann also im Aufsatz niemals die Note 1 erreichen, selbst wenn bei ihm die Kompetenz „Texte schreiben“ sehr gut ausgeprägt wäre.

-> Bewertung der Rechtschreibung im Fach HSU
Zu Fachbegriffen in HSU zählten z.B. auch Ortsnamen wie „Rapperszell“ und „Gungolding“. Dass diese Begriffe geprüft würden, wurde den Schülern und Eltern vorher nicht mitgeteilt. Natürlich was es dann nach den ersten Proben allen Eltern zu. Auch hier reicht bei Kindern mit schlechter Rechtschreibkompetenz eine sehr gute Leistung in den Kompetenzbereichen des Fachs HSU nicht aus, die Note 1 zu bekommen, weil die Leistungsprüfung in Walting nicht kompetenzorientiert ist. Dieser Anteil wurde nicht in die Berechnung des Kompetenzanteils hinzugefügt. Allerdings benachteiligt dieses Vorgehen ein Kind mit schlechter Rechtschreibung erneut.

Fazit
Ein Kind mit schlechten Rechtschreibkompetenzen wird an der Grundschule Walting auch in den Kompetenzbereichen Sprache untersuchen und Aufsatz sowie im Fach HSU abgewertet.


9. Keine rechtskonforme Leistungsprüfung in Walting

Ein aktueller Beschluss des Verwaltungsgerichts München (Beschluss v. 13.09.2021 – M 3 E 21.4346)

beleuchtet die Bewertung der Sprachrichtigkeit im Probeunterricht und der Grundschule.

  • Das Urteil bezieht sich ursprünglich auf den Probeunterricht, stellt aber den Beurteilungsspielraum der Prüfer in der Grundschule klar.
  • Demnach ist eine Bewertung der Sprachrichtigkeit auch in der Grundschule außerhalb des Bereiches „Richtig schreiben“ und „Sprache untersuchen“ nicht rechtskonform. Die Bewertung der Rechtschreibung ist nur in der Prüfung Rechtschreibung möglich, die Bewertung der Grammatik nur in der Prüfung Sprache untersuchen.
  • Die Bewertung von Verstößen gegen die Sprachrichtigkeit – Grammatik, Rechtschreibung und Interpunktion – verlassen z.B. in Aufsatz, Lese-, oder Hörverständnis-Proben den Bewertungsspielraum des Prüfers und wird vom Gericht als justitiabel gesehen.

Damit dürften die Bewertungen der Rechtschreibung im Fach HSU sowie im Fach Deutsch innerhalb der Aufgaben des Kompetenzbereiches Sprache untersuchen und Aufsatz an der Grundschule Walting in diesem Schuljahr nicht rechtskonform gewesen sein.


10. Qualität der Rechtschreibprüfung in Walting ist mangelhaft

Wie bislang dargelegt wurde, fällt in der Grundschule Walting die Rechtschreibleistung im Fach Deutsch bis zum Übertrittszeugnis mit 34 % ins Gewicht. Im Folgenden soll noch gezeigt werden, in welcher Form diese Rechtschreibleistungen erhoben wurden.

Der LehrplanPLUS gliedert die Kompetenz Rechtschreibung in weitere Teilkompetenzen auf.

Die Vermittlung und Prüfung der Kompetenz Rechtschreibung kann nach dem LehrplanPLUS in Teilkompetenzen differenziert werden: z.B. nach dem phonologischen und silbischen Prinzip, dem morphologischen Prinzip, dem grammatischen Prinzip und einer Verbindung unterschiedlicher Prinzipien.

Entsprechend gibt es auch entsprechend vielseitige, kompetenzorientierte Prüfungsaufgaben, z.B.
- Verlängere das Wort
-- Bilde die Mehrzahl des Wortes. (Maus -> Mäuse)
-- Bilde die Einzahl des Wortes. (Hände -> Hand)
-- Bilde mit dem Wort die „wir“ - Form. (isst -> essen)

Besieht man sich die konkreten Testverfahren, die in der 4. Klasse der Grundschule Walting genutzt wurden, um die Kompetenz der Rechtschreibung zu prüfen, so verteilt sich die Form der Prüfungsaufgaben von 100 % der Kompetenz Rechtschreibung wie folgt:

Nur 21 % der Prüfung der Kompetenz Rechtschreibung erfolgte durch kompetenzorientierte Aufgaben
Trotz der starken Gewichtung der Rechtschreibung in Walting von 34 % der Gesamtdeutschnote wurden nur 5 kompetenzorientierte Aufgaben über alle Prüfungen im Fach Deutsch bis zum Übertrittszeugnis für die Messung der erlernten Rechtschreibkompetenzen verwendet:

  • Ordnen Wörter nach offenen und geschlossenen Silben
  • Begründe Trennungsregel
  • Wörter trennen
  • Schreibe korrekt ab – Groß- und Kleinschreibung
  • Doppelkonsonanten

35 % der Messung des Kompetenzbereichs Rechtschreibung in Walting erfolgte durch Diktate.
Das Diktat gilt nach dem aktuellen pädagogischen Forschungsstand unumstritten als nicht geeignete Methode, um die Kompetenz Rechtschreibung zu prüfen. Vor fast 20 Jahren schon schrieb das ISB: „Zur Benotung ist das Diktat niemals geeignet.“ (Quelle: Testverfahren für den Rechtschreibunterricht, ISB 2006)
Auch im LehrplanPLUS wird das Diktat nicht mehr als mögliche Prüfungsform genannt. Nur in einem Elternbrief des KM wird berichtet, dass Diktate in Grundschule in Bayern zumindest eine zugelassene Leistungserhebung darstellen, um direkt im Anschluss daran auch geeignete Lern- und Übungsformen zu nennen, unter denen dann das Diktat nicht mehr erscheint (LehrplanPLUS Grundschul-Newsletter Unterricht und Kultus, Nr. 6/2018).
Diktate messen viel mehr als nur die Rechtschreibung: den Umgang mit Zeitdruck und Notenstress, Angst vor dem Versagen und Unsicherheit. Sie haben häufig eine demotivierende Wirkung. In vielen Bundesländern werden Diktate gar nicht mehr geschrieben, in den meisten bayerischen Gymnasien und Realschulen auch nicht mehr. Viele Grundschulen in Bayern halten an dieser Form der Rechtschreibprüfung jedoch noch fest.

44 % der Messung des Kompetenzbereichs Rechtschreibung in Walting erfolgte ohne Methode.
Eine Bewertung der Rechtschreibung in den Aufgaben von Sprache untersuchen und im Aufsatz entspricht keiner kompetenzorientierten Methode zur Leistungsbewertung.
Besonders kritisch ist hier, dass es sich um keine kompetenzorientierte Leistungsprüfung handelt. Denn die Rechtschreibkompetenz wird nur implizit geprüft. Damit entspricht diese Form der Leistungserhebung und -bewertung nicht dem bayerischen Anspruch zur kompetenzorientierten Leistungserhebung. Das ISB konstatiert: „Ein Qualitätskriterium für Leistungserhebungen beinhaltet Zielklarheit.“ (vgl. Kompetenzorientierter Unterricht, Leistungen beobachten – erheben – bewerten, ISB, 2017)
Das ist hinsichtlich der schwerwiegenden Entscheidung der 4. Klasse über die Laufbahn der Kinder nicht tragbar. Das wird auch dem Anspruch des LehrplanPLUS nicht gerecht.


11. Schlussbemerkung

Im Jahr 2017 gab das KM folgende Broschüre des ISB heraus:
Kompetenzorientierter Unterricht: Leistungen beobachten – erheben – bewerten. Grundschule

Hier werden die Ansprüche an Leistungserhebungen formuliert:
„Leistungsmessung: Standardisierte Verfahren zur Messung spezifischer Leistungen unterliegen den wissenschaftlichen, testtheoretischen Gütekriterien einer Messung: Objektivität, Reliabilität und Validität. Tests wie die Orientierungsarbeiten, VERA oder PISA müssen solchen Gütekriterien entsprechen. Leistungserhebungen, die regelmäßig im Unterricht durchgeführt werden, wie z. B. Probearbeiten, können und brauchen diesen Anforderungen im wissenschaftlichen Sinne nicht zu entsprechen. Gleichwohl streben Probearbeiten und Lernzielkontrollen in der Schule eine hohe Qualität bei der Art der Fragestellungen und möglichst große Trennschärfe bei der Bepunktung und Bewertung an.“
(Quelle: Kompetenzorientierter Unterricht: Leistungen beobachten – erheben – bewerten, ISB, 2017, S.6)

Auch an Probearbeiten werden besondere Qualitätsansprüche gestellt. Obwohl Probearbeiten nicht den gleichen wissenschaftlichen Standards entsprechen müssen – so wie standardisierte Schulleistungstests - muss die Übertrittsnote die Eignung eines Kindes für die weiterführende Schulart valide widerspiegeln. Eine valide Eignungsfeststellung erfordert laut ISB und pädagogisch-wissenschaftlichem Konsens kompetenzorientierte Proben. Eine enge Orientierung an den Ausführungen des ISB ist hierfür sinnvoll und Abweichungen davon schlüssig zu begründen. Pädagogische Freiheit muss pädagogisch begründet sein.

 

Wenn der Staat die Entscheidung über die Eignung von Kindern trifft und dadurch die Entscheidungsmöglichkeiten von Eltern über die weitere Schullaufbahn stark beschränkt, sind derartige Mängel und Schwankungen wie in Walting nicht akzeptabel.

12. Anhang Tabellen mit den Daten der Leistungserhebungen

Tabelle Walting Leistungserhebungen Deutsch 21/22

Tabelle Ebersberg Leistungserhebungen Deutsch 21/22

Tabelle Holzkirchen Leistungserhebungen Deutsch 21/22

Tabelle Euerdorf Leistungserhebungen Deutsch 21/22